Ich liege noch immer. April 2006. Kurz nach meinem 50. Geburtstag. In meinem Rücken befinden sich Elektroden. Epidural und Subkutan. Eine im Wirbelkanal, von L5 bis L2 hoch. Eine unter der Haut im Bereich L5/S1. Bevor sie mir diese Dinger bei vollem Bewusstsein einsetzten, versuchten sie eine Schmerzpumpe. Probeweise. Ein dünner Schlauch im Wirbelkanal, der das Schmerzareal mit Morphium betreufelte. Alles in allem gibt es wahrlich Lustigeres. Aber warum ich mich trotzdem sehr angenehm an diese Zeit erinnere ist die Tatsache, dass ich kurz nach meinem 50. Geburtstag im Internet eine bemerkenswerte Frau kennenlernte.
Sie war in jeder Hinsicht bemerkenswert. Sie lernte mich liegend kennen. Sie fuhr mich mit ihrem Auto liegend. Ich liegend auf der umgelegten Rückbank. Sie fuhr mich so in meine Heimatstadt, die ich damals sehr lange nicht mehr besuchte. Es war Sommer 2006. Ich verbrachte fast schon 3 Jahre liegend. Bandscheibenteile waren im Sommer 2003 in meinen Spinalkanal gewandert und verursachten dort Schmerzen, die sich niemand vorstellen kann, der so etwas nicht erlebt hat.
Diese Frau brachte die Sonne in mein Leben zurück. Wir liebten uns. Ihr war meine Krankheit egal. Liegen konnte ich ja. Es gab keinen besseren Lieger als mich! Es sollte aber noch lange dauern bis ich wieder hochkam. Es sollte fast 2009 werden. Mit dieser bemerkenswerten Frau war ich leider nur bis 2008 zusammen. Spätestens da war ihre Schmerzgrenze erreicht. Sieben Monate vorher begann ich mir Morphium zu verabreichen. Ich wusste keinen anderen Ausweg mehr. Der Preis dafür war absolute Lustlosigkeit. Der Preis war schließlich auch das Ende dieser fantastischen Beziehung. Meine uneingeschränkte Dankbarkeit ist ihr gewiss. Ich werde nie die Worte dafür finden wie groß mein Dank ist. Nicht nur, weil sie sich mit einem kranken Menschen einließ, sondern auch für ihre Liebe, die sie mir gab und die sie sich von mir geben ließ. Ich freue mich jetzt schon auf unser herbstliches Treffen. Zweimal im Jahr treffen wir uns. Im Frühling und im Herbst.
Auch wenn die letzten 7 morphinverseuchten Monate dieser Beziehung die Liebe überhaupt nicht mehr förderten, befreiten sie mich doch von meinen Schmerzen. Fast. Muss mich noch immer für Stunden, oder auch Tage hinlegen. Warten bis die Schmerzen vergehen. Aber ich kann wieder laufen. Kann ins Büro fahren. Gehe auf Konzerte, ins Kino, fahre nach Kärnten. Fahre in die Steiermark. Mit dieser Tatsache lassen sich Schmerzen eher vertragen.
Jetzt, es ist Sommer 2010, nehme ich manchmal eine Deflamat und staune wenn sie wirkt. Jetzt mache ich meine Rückenübungen, die mir sehr engagierte Physiotherapeutinnen beibrachten. Allen voran eine junge Frau, die mich während meines Morphiumentzuges physiotherapeutisch begleitete. Das war im März 2008. Es folgte noch eine mühsame Zeit voll Schmerzen, Zweifeln aber doch schon Hoffnungsschimmern am Horizont. Aber es sollte noch besser kommen! Im Vergleich zu der Zeit zwischen 2003 und 2008, Wahnsinn 5 Jahre!, war alles besser. Dieser Vergleich ist aber ungerecht. Das was ich meine würde auch ohne diese Zeit das Wort „besser“ verdienen, aber bzw. oder wahrscheinlich nur deshalb passiert, weil das vorher stattfand. Weil die Schmerzen stattfanden!